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Februar 2011 - Bausteine für eine neue Ökonomie, Prof. Frithjof Bergmann

Bausteine für eine neue Ökonomie, Prof. Frithjof Bergmann

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BAUSTEINE FÜR EINE NEUE ÖKONOMIE

Eine andere Ökonomie

Das wir eine grundsätzlich anders geartete Wirtschaft brauchen ist für die meisten auch nur ein wenig voraus-denkenden Menschen zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Die zwei hundert Gründe dafür schwirren wie Hornissen um unsere Köpfe: - Weil die uns jetzt tyrannisierende Wirtschaft die Erde zu verbrennen droht. - Weil sie die Ressourcen, die sie zu ihrem Wahnsinns-Wachstum braucht im Galopp verschleudert. - Weil sie die Menschheit in 20% "Oasen-Menschen" und 80% "Wüsten Menschen" (die auf Müllbergen oder aus Mülltonnen leben) gespalten hat. - Weil sie uns dazu zwingt, die Überbleibsel unserer ausgebeuteten Kultur in das Feuer zu werfen, das den Kessel dieser Wirtschaft weiter unter Hochdampfdruck hält. Sie wissen, dass man diese Liste verlängern könnte.

Soweit sind sich viele von uns in friedevoller Harmonie einig. Aber dann sträubt das igelhafte „wie"? das „wie könnten wir das denn erreichen?" seine peinlichen Stacheln. Und in der Tat –

wie? Ist der Aufstieg zu einer in allen Fassetten, von den Wurzeln bis hinauf in die Wipfel, völlig anderen Wirtschaft auch nur irgendwie denkbar? Ist der Weg dahin vorstellbar? Wir haben wortwörtlich keine Ahnung! Wir flattern hilflos mit unseren Armen; wir stehen wie vor einer weißen Wand aus Eis. Wir sehen mit kristallener Klarheit, dass wir hinein in ein siebenfaltiges Unheil fahren. Aber wie das im Ernst wirklich zu verhindern?

Phantasie und Technologie

Eine erste mögliche Antwort ist der Hinweis auf die Flut von erstaunlichen, kaum zu glaubenden in jüngster Zeit erfundenen Technologien. Deren intelligente Anwendung könnte in der Tat eine grundlegend anders funktionierende Wirtschaft ermöglichen. Genau das ist eine der Kernambitionen der jetzt in Linz vor der Eröffnung stehenden Ausstellung „ARS Electronica". Eine Vielfalt dieser neuen Technologien wird dort leibhaftig präsentiert, damit man sie anfassen, überprüfen und auch mit ihnen experimentieren kann.

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Die Bandbreite der Beispiele reicht von ganz erdverbundenen Innovationen, wie den „Food-Häuser", in denen große Teile von dem was man zur Ernährung braucht, nicht nur Gemüse sondern auch Fische und Pilze, und trotz der kalten Winter auch Bananen, Papayas, Orangen, und Feigen die mit "Geothermalen Heizungs- und Kühlungs- Anlagen" zum reifen gebracht werden - - bis hin zum anderen Ende dieser Polarität, das repräsentiert wird von der jetzt schnell wachsenden Familie der Fabrikatoren. Zu den weiteren auch in der Ausstellung gezeigten Technik-Neuheiten gehören u.a. auch ein "Super-Zement", der zu 97% aus Erde und nur zu 3% aus einem Klebstoff besteht. Darüber hinaus findet sich noch eine weitere Buntheit von Produkten – Treibstoff, Textilen, und Nahrung – die alle auf der Biomasse von Algen basieren.

Im Internet ist eine farbigen Fülle von Anweisungen, Handbüchern, Erklärungen und Rezepten über wie und was man alles am Ort „selber machen" kann. Auch dieses Universum von Informationen gehört dazu.

Damit sind wir aber noch weit entfernt von einer Antwort auf das stachlige "Wie?" Wie könnte sich eine andere Ökonomie nicht nur in Träumen – und eben nicht nur in inselhaften Beispielen -- großflächig entwickeln? Und eben so hartnäckig: Wie würde eine grundlegend andere Wirtschaft nicht nur in vereinzelten Technologien, sondern im Ganzen, als System funktionieren? Was uns absolut fehlt ist eine überzeugende, uns Richtung und Orientierung und Kraft gebende Vorstellung vom Ziel, von einer Art Ökonomie die machbar und erreichbar wäre in der großen globalisierten Welt, und die uns nicht hineintreiben wird in die uns nur allzu bekannten Übel.

Waren sie einmal in einer unsrer kolossalen Fabriken? Nur vom Hinschauen, vom am Fließband entlang gehen wird oft klar, dass diese monströsen, im Gänsemarsch aneinander gereihten Maschinen etwas unerhört unintelligentes, ineffizientes, veraltetes an sich haben. Warum ein gigantisches Roboter-Ding, das nur ein fuzeliges Rädchen dreht und direkt daneben noch ein eben so großes Geschmeiß, das auch wieder nur ein einziges Puppen-Schräubchen schraubt? Schon

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Kinder wissen, wie unerhört viele Funktionen in einem Handy zusammen untergebracht sind. Warum diese Fließband betreuenden Maschinen nicht ineinander schachteln, und statt der Kilometer langen Schlange einen einzigen Roboter hinstellen, der im Nu 500 Handgriffe hintereinander macht? Die normale Fabrik könnte ein hundertstel so groß sein wie sie jetzt ist, sie würde in ein Schlafszimmer hineinpassen, wenn wir uns nur dazu entschließen würden.

Das großartige an dieser Phantasie ist, dass sie genügt, uns den ersten Hauch einer Idee zu geben: Alles muss nicht unbedingt andauernd noch größer werden. Die entgegen gesetzte Richtung, in der wir uns teilweise sowieso schon bewegen, also eine verbreiterte Anwendung unserer fabelhaften Kapazität für Miniaturisierung öffnet einen Türspalt zu einer radikal anderen Wirtschaft: Lassen sie in ihrer Phantasie das Bild von einer Stadt aufblitzen, in dem die Musiksäle, die Bibliotheken, die Tanzhallen, die Museen und auch alles was der Entwicklung des Körpers dient von Spielplätzen zu Stadions den Gesamteindruck beherrschen -- und in der im Gegensatz zu dem jetzt Normalen, die Fabriken und die Banken und auch die Büros wunderbar verkleinert, putzig und verschämt in übergebliebenen Ecken stehen.

Wir können jetzt den nächsten Schritt von diesem Bilderbuch Denken zu einem härteren und kantigeren Denken hin tun: Unsere tief sitzende Überzeugung, dass die groß angelegte, zentralistische Massenherstellung eine alles vor sich hertreibende Macht besitzt ist völlig falsch. Die dezentrale Herstellung, lokal, am Ort, nicht in gigantischen Fabriken sondern in kleinen Räumen ist nicht nur idyllischer und grüner sondern auch unvergleichlich effizienter, und deshalb wettbewerbstüchtiger.

Ganz gleich, ob man von Lippenstiften, Teekannen oder Automobilen spricht, immer und überall sind die eigentlichen Herstellungskosten nur 20% von den Kosten die Sie im Laden zahlen. Zu den Herstellungskosten, die bei einem Lippenstift nur Cents betragen, kommt bei der Massenherstellung die Reklame, der Transport, die Lagerung und Aufbewahrung, die Bezahlung für den Laden mit allem drum und dran, also auch die Verkäuferinnen und so fort. Diese 4/5 würden bei einer verkleinerten, dezentralen, am Ort statt findenden

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„Community Produktion" wegfallen. Wenn wir eine auf dieser Art der Herstellung sich ergebende Ökonomie mit Klugheit und Geduld geschickt entwickeln würden, dann werden die vielen Kleinen, nicht übermorgen aber doch in einer von uns noch erlebbaren Zukunft, die Grossen wirtschaftlich verprügeln.

Vergegenwärtigen wir uns, welche Geld-Kosten im Groben mit der Spaltung der Gesellschaft verbunden sind, nicht nur weltweit, sondern auch in Österreich oder Deutschland. Wenn man den Versuch macht die zu summieren wird einem Schwarz vor den Augen: Die Unterstützungs- und Verwaltungskosten, nebst den Kosten für die "Maßnahmen" die immer seltener zu Jobs führen, sind dabei nur die aller ersten Tropfen auf einen heißen Stein. Wenn man einigermaßen zählen will dann gehören dazu auch alles was getan wird, um das sieche Job-System auf seinem Krankenbett weiter zu bepeppeln. Dazu gehören also auch die "Konjunktur Pakete", die Steuersenkungen für die Konzerne, die fabelhaften Subventionen für dieselben Konzerne, dass ganze Paket von Gesetzgebungen und Regelungen mit denen man den Standort erotisch anziehend für Unternehmen zu machen versucht.

Community Produktion

Die entscheidende Weichenstellung hin zu einer Neuen Wirtschaft wäre im Vergleich zu dieser angedeuteten Unsumme spottbillig: man müsste nur in vielen Dörfern, Märkten und Stadtteilen „Community Produktionsräume" einrichten, die den am Ort ansässigen Wüstenmenschen Zugang zu den "befreienden Technologien" möglich macht.

Die Gelder, die für die Einrichtung von solchen "Community Produktionsräumen" nötig wären, sind im Vergleich zu den zig Billiarden, die für "Job-Schaffung" in die Gosse geschüttet werden, eine lächerliche Kleinigkeit. Von viel tiefer gehender Bedeutung wäre, dass diese Richtungsänderung uns von dem W.W.W. – d.h. von dem Wirtschafts-Wachstums-Wahnsinn – befreien würde. Wieso? Weil der Druck der vom Mangel an Arbeitsplätzen ausgeübt wird, der Kardinal- und Haupt-Antrieb ist, der uns zu immer verrückteren Wirtschafts-Wachstums Anstrengungen zwingt.

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Das Vermehren der "Community Produktion" ähnelt in deutlicher Weise ganz dem Jahrtausende alten Urprinzips des Bauerntum: "Nur das zu kaufen was man nicht selber erzeugen kann" – der Unterschied resultiert von der rießen Differenz im Niveau der zur Verfügung stehenden Technologie: statt Butter und Käse kann man jetzt Elektrizität, Kühlschränke und Ersatzteile für Autos selber machen.

Es ist eine Illusion, die glaubt, die weltweite Armut durch die Gründung von mehr Unternehmen und durch die dadurch entstehenden Arbeitsplätze abschaffen zu können. Das stimmt auch für das aller Grundlegendste, nämlich für die Nahrung. Die Verwandlung der Landwirtschaft in die Agrarindustrie hat die Völkerwanderung vom Land in die Slums verursacht. Man kann sich von einem kleinen Hof nicht mehr ernähren. Was man jetzt aber stattdessen kann ist die sog. „Vertikale Agrikultur" (von der man in Linz Beispiele sehen wird) weiter zu kräftigen. Diese "Agrikultur" kommt beinahe ohne Grund und Boden aus weil das Gemüse in aufeinander gestapelten Behältern die man mit selbst erzeugtem Kompost füllt, wächst. Die selbe frappierende Sparsamkeit begleitet flächendeckend so gut wie alle Teile der Community-Produktion-Ökonomie, bis hin zu der jetzt legendär gewordenen Familie der "Fabrikatoren", die kaum ein Körnchen Abfall haben, im krassesten Unterschied zu der mit Rohstoffen um sich schmeißenden Massenherstellung. Wenn man diesen Gedanken gradlinig weiter denkt, kommt man an die Grenze des Traums von der Abschaffung der Armut.

Leuchttürme

Dieser Wechsel, vom weiter warten zum selber tun, hilft nicht nur in den ärgsten Slums von Afrika, Indien, oder Süd Amerika sondern auch in den industrialisierten Ländern. In den wenigen übrig gebliebenen, noch tief im Hypnosen Schlaf ihrer Medien träumenden Reichtumsinseln ist man natürlich noch ein gutes Stück entfernt von dieser scharfen Denk-Drehung. Aber weil man dieser Wende, unter einer dünnen Decke doch schon so nahe ist, würden einige wenige wirklich brillant durchgeführte "Demonstrations- Projekte" in Österreich oder Deutschland genügen, um einen rapid sich

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bewegenden Prozess auszulösen. Solche "Leuchttürme" würden diese Alternative anschaulich machen. Sie wären Beispiele für unsere Länder, aber auch für Entwicklungs- Projekte und für Orientierung suchende NGO’s und natürlich auch einfach von Nachbar zu Nachbar. Laut vom Dach gerufen: Deshalb die Ausstellung in Linz!

Diese Entwicklung wird schrittweiser Prozess sein, aber einer mit interessanten Etappen. In einem frühen Stadium könnte eine städtische Nachbarschaft z.B. es zur Eigenproduktion der Nahrung(Food Security) und der Elektrizität gebracht haben. Schon dieser Anfang könnte Änderungen in der Mentalität, in der politischen Weltanschauung zur Folge haben: Die Abhängigkeit von Jobs würde nicht mehr mit der selben tyrannischen Absolutheit erlebt, das Bankrott gehen der Monster-Banken würde nicht mehr mit apokalyptischen Phantasien ausgemalt werden; vielleicht würde man sich sogar gegen die mit Erpressung verbundenen sog. Konjunktur Pakete mehr wehren: Jobs würden etwas von ihrer totalitären Allmacht einbüssen: weil eine Alternative zu Jobs sichtbar geworden ist.

Mit wenig Phantasie kann man sich die Größenordnung und die Gewalt vergegenwärtigen, die solche und ähnliche Verschiebungen mit sich bringen können, wenn zunehmend beträchtlichere Teile der Wüstenmenschen die Community Produktion und den sie ermöglichenden Lebensstil aufgreifen würden.

Es ist nicht so arg schwer sich die Landschaft vorzustellen die sich auf der Basis dieser Wirtschaft formen würde. Jedenfalls viel Bäume, viel Grünes, Vieles das wieder Natur geworden ist. Aber selbstverständlich trotzdem Städte, nur sehr anders als die heutigen.

Wenn durch die Community Produktion sehr viel andere, Neue Arbeit, entsteht – die des Community Herstellens – dann wird die Jobmonomanie sich lindern, und das Kaufen und Verkaufen wird wieder einen erträglichen Raum einnehmen. Die Produkte der Massenproduktion strampeln mit allen Gliedern, weil sie zwangsweise Aufmerksamkeit auf sich ziehen müssen, um zum Verkauf und damit zu Jobs zu führen. Wenn Arbeit auf andere Art getan wird, dann

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können die Produkte wieder elegant, einfach und nützlich werden, und das wird das Stadtbild sehr verändern. Auf den Plätzen wird es statt der Läden eine kunterbunte Vielfalt von geräumigen Community Hallen geben, die fürs Herstellen, aber auch fürs Diskutieren und Entschlüsse fassen, und fürs gemeinsam Tanzen und Spielen und natürlich Musizieren benützt werden.

Damit kann der Kreis sich vorläufig schließen: Wir haben jetzt ein Bild von einer völlig anderen Wirtschaft und wissen auch, mit welchen Schritten man sie erreichen könnte: Selbständigkeit durch Community Produktion. Bei der nächsten großen Finanzkrise können wir mit Gelassenheit die kriminellsten der Banken bankrott gehen lassen. Wenn das Jobs kostet, dann vermehren wir die Community Produktion, und das würde einen Fortschritt und nicht einen Abstieg bringen. Ebenso mit der kommenden Wirtschaftskrise: die Antwort ist dieselbe: Wenn die Konjunktur schrumpft erweitern wir die Community Produktion und begrüßen diesen weiteren Fortschritt mit Fröhlichkeit und kleinen Festen.

Dem Problem des Klimas, der Ressourcen und der Natur werden wir nur Herr, wenn wir eine grundleged andere Ökonomie aufbauen. Weniger reicht nicht. Aber das ist das großartige an unsrer Zeit, das ist, was wir an den aller modernsten Technologien feiern sollten: die Möglichkeit einer völlig anderen Ökonomie. Es ist beinahe kinderleicht geworden. Wir müssen nur die schon mächtige Tendenz zur Miniaturisierung mit Tanz und offnen Armen füttern und verbreiten, dann wird eine zweite, ergänzende in kleinen Räumen herstellende, bottom up Ökonomie wie von selbst entstehen.

Frithjof Bergmann

Feb. 2011